Wozu Kunst?
Unsere Gesellschaft ist in Aufruhr. Was wird aus dem »europäischen Projekt«, dem friedvollen Zusammenwachsen Europas? Wie werden sich die europäischen Gesellschaften angesichts etwa der aktuellen weltweiten Migrationsbewegungen verändern? Und wie können Künstler*innen diese Entwicklungen beschreiben, wenn nicht gar beeinflussen? Oder ist das überhaupt nicht die Aufgabe von Kunst?
Einer der wichtigsten Fürsprecher einer sozial und politisch engagierten Kunst war der Schriftsteller, Filmemacher und bildende Künstler Peter Weiss, der in diesem Herbst einhundert Jahre alt geworden wäre. Sein Roman »Die Ästhetik des Widerstands« bildet die Grundlage der Inszenierung »Unsere Gewalt und eure Gewalt« des kroatischen Theatermachers Oliver Frljic. In einer Serie von Lesungen stellen wir gemeinsam mit dem Deutschen Nationaltheater das Buch ausführlich vor und widmen dem Autor einen Filmabend sowie eine Gesprächsrunde. Der Künstler Krzysztof Wodiczko lässt sich von Weiss für eine interaktive Videoprojektion im öffentlichen Raum inspirieren. Weiss durchaus geistesverwandt ist »By Heart« von Tiago Rodrigues, eine beeindruckende Ode an die widerständige Kraft von Literatur.
Ob Kunst Modelle dafür liefern kann, wie Menschen unterschiedlicher Herkunft einander mit Respekt begegnen und voneinander lernen können, wollen wir mit dem ebenfalls in Kooperation mit dem DNT entwickelten internationalen Theaterprojekt »KULA – nach Europa« herausfinden. In »Evros Walk Water« mischen sich die Erzählungen geflüchteter Jugendlicher mit der Aufführung eines Musikstücks von John Cage. Dass (auch positive) Vorurteile das Zusammenleben nicht eben erleichtern, macht der israelische Choreograf Hillel Kogan in seinem gefeierten Stück »We Love Arabs« deutlich.
Wie sich Geschichte und Politik in den Körper einschreiben, untersucht das Künstlerduo Xiao Ke & Zi Han aus Shanghai. Das erfolgreiche Tanzensemble La Veronal aus Barcelona erweckt in »Siena« ein nächtliches Museum zum Leben. Die flämische Choreografin Lisbeth Gruwez stellen wir gleich mit zwei Arbeiten vor, die bisher noch nicht in Deutschland zu sehen waren: ihrem Solo zur Musik Bob Dylans und einem Duett über ein grundlegendes menschliches Gefühl – die Angst.
Dass Angst haben auch Spaß machen kann, zeigt das dänische Ensemble Teatret Gruppe 38 in seinem Familienstück »Keine Angst vor gar nichts« für Menschen ab acht Jahren, einem unserer zahlreichen Angebote für junge Zuschauer*innen. In einem Projekt des Kunstfests mit dem freien Jugendtheater stellwerk weimar entwerfen junge Erwachsene eine Gesellschaft der Zukunft. Mit dem akrobatischen Tanzstück »Gravitas« von Ofir Yudilevitch gehen wir in Schulen – und in die Stadt, wie auch mit neuen Arbeiten von Studierenden des Weimarer Studiengangs für Kunst im öffentlichen Raum, der Fotothek und dem Schlagquartett Köln.
Das Kunstfest lädt wie immer dazu ein, künstlerisches Neuland zu betreten: »GOETHE :: VOM VERSCHWINDEN« ermöglicht im Schießhaus eine besonders intensive Theatererfahrung auf den Spuren des großen Dichters. Unser Eröffnungskonzert »UN / RUHE« mit der Jungen Deutschen Philharmonie spannt einen Bogen von Richard Wagner über Alban Berg bis zur Musik der Gegenwart. Mit Sylvain Cambreling, Carolin Widmann, Ana Durlovski und Tänzerinnen und Tänzern von Sasha Waltz & Guests haben wir einige der Besten ihres Fachs in Weimar versammelt, um herauszufinden, wie sich Musik und Tanz im Konzertformat verbinden können.
Wozu Kunst? Kunst kann – unter anderem – uns anregen, unsere eigenen Haltungen zu überprüfen und zu formulieren. Sie kann uns ermutigen, Konflikte zu erkennen, sie auszuhalten und mit ihnen umzugehen. Das Kunstfest Weimar bietet hierfür zahlreiche Gelegenheiten. Wir wünschen Ihnen viele interessante Entdeckungen, Begegnungen und Gespräche und freuen uns auf ein ge- meinsames Kunstfest 2016!