Der neu rekonstruierte Thriller des archaischen Kinomodernisten Robert Reinert verbindet exotischen Orientalismus mit erotischen Schauwerten. Der Wissenschaftler Prof. Gesellius studiert in China die Wirkung des Rauschmittels Opium und befreit die schöne Sin aus den Fängen des Opiumhändlers Nung-Tschang. Daraufhin wird er von dem rachsüchtigen Chinesen über seine Heimat bis nach Indien verfolgt und fällt schließlich selbst der Droge zum Opfer.
Mit der Lichtdramaturgie und den raumtiefen Aufnahmen seines Kameramanns Helmar Lerski erschafft Reinert rauschhafte Traumsequenzen und eine Metaphorik, die bereits den filmischen Expressionismus einleitet. Zudem registriert Opium mit seiner »halluzinatorischen Filmsprache« (Tobias Nagl) die durch Morphine und Granatschock ausgelösten mentalen Zustände der Fronterfahrung im Ersten Weltkrieg. Eine kontroverse Wiederentdeckung eines bisher vernachlässigten Regisseurs.
Opium erlebte im Weimar des Jahres 1919 insgesamt zwölf Vorführungen in Scherffs Lichtspielhaus (07.03. – 10.03.1919).
»Dieser ›Monumentalfilm‹ schwelgt geradezu in ›Sensationen en gros‹. Fast jede Szene ist in ihrer Eigenart eine kleine ›Sensation‹. Das größte Lob an dieser Arbeit gebührt dem Spielleiter Reinert. Von besonderer Wirkung ist die Wiedergabe der Opiumträume: im Rausche wirbeln Erlebnisse und Phantasie in unkenntlichem Durcheinander vorbei. Es gibt keine andere Darstellungsmöglichkeit, die die Wirkungen des Opiumgiftes in einer derartigen Lebenswahrheit wiederzugeben vermag. Hier versagen Bühne und Buch, nur die Technik des Kinematographen triumphiert.« Eric Jacobsohn, aus: Der Kinematograph Nr. 631 vom 05.02.1919.
Schock der Freiheit
Mit der Gründung der Weimarer Republik beginnt auch für das Weimarer Kino das goldene Zeitalter des deutschen Films. Nach der Kaiserherrschaft und den Schrecken des Ersten Weltkriegs spiegelt sich der plötzliche »Schock der Freiheit« (Siegfried Kracauer) in den eskapistischen Lustspielen, glamourösen Spektakeln und düsteren Leinwandfantasien des Films. Anhand der rekonstruierten Spielpläne der lokalen Kinos »Scherffs Lichtspielhaus« und »Reform Licht-Spiele« zeigen das Lichthaus Kino, die Bauhaus-Universität Weimar, das Kunstfest Weimar und das Weimarer Stadtarchiv in Zusammenarbeit mit international renommierten Musiker*innen und Gästen eine Stummfilm-Retrospektive mit seltenen Werken, die sich vor genau 100 Jahren als Publikumsmagneten erwiesen und an das filmische Kulturerbe aus der Perspektive der Stadt Weimar erinnern. Historische Wochenschauen ergänzen die Hauptfilme.
Weitere Stummfilme mit Live-Musik in der Retrospektive »Schock der Freiheit«:
26.8., 19:45
Die Dame, der Teufel und die Probiermamsell (D, 1919) & Dida Ibsens Geschichte. Ein Finale zum »Tagebuch einer Verlorenen« von Margarete Böhme (D, 1918)
27.8., 19:45
Pax Æterna. Der ewige Frieden (DK, 1917)
28.8., 19:45
Rose Bernd (D, 1919)
31.8., 15:00
Im deutschen Sudan (D, 1917)
1.9., 15:00
Der Rattenfänger von Hameln (D, 1918) u.a. Kurzfilme
1.9., 19:45
Der grüne Vampyr (D, 1918/19) & Die Austernprinzessin (D, 1919)
3.9., 19:45
Veritas Vincit. Die Wahrheit siegt! (D, 1918/19)
5.9., 19:45
Die Spinnen 1. Teil: Der goldene See (D, 1919)
Stephen Horne
Stephen Horne gilt als einer der führenden Stummfilm-Begleiter. Er ist seit über dreißig Jahren Hauspianist im ‚Londoner BFI Southbank‘. Er spielte an den wichtigsten Kinos und Festivals Großbritanniens und nahm Musik für viele DVD-Veröffentlichungen von Stummfilmen auf. Als Pianist bezieht er oft andere Instrumente in seine Performances mit ein und schrieb auch einige Ensemblepartituren. Er tritt auch regelmäßig auf internationalen Festivals auf, so in Pordenone, Bologna, San Francisco, Telluride, Paris, Cannes, Hongkong, Bangkok, Shanghai, Istanbul, Berlin und Wien. 2014 bis 2018 wurde er fünf Jahre in Folge in der Kategorie ‚Best Screening with a Single Accompanist‘ der ‚Silent London‘-Jahresumfrage gewählt.
Opium
The newly reconstructed thriller by the archaic cinematic modernist Robert Reinert combines exotic orientalism with erotic imagery. The researcher Professor Gesellius studies the effects of opium in China where he releases the beautiful Sin from the clutches of the opium dealer Nung-Tschang. The vengeful Chinese dealer hunts him down in Germany and chases him all the way to India, where he eventually succumbs to the drug himself. Thanks to the dramatic lighting and spatial depth of the shots by cameraman Helmar Lerski, Reinert succeeds in creating delirious dream sequences and a metaphorical imagery which already possesses characteristics of cinematic expressionism.
Shock of Freedom
Films of the Weimar Republic in Weimar’s Cinemas in 1919 The founding of the Weimar Republic marked the beginning of Weimar cinema, the golden age of German film. After imperial rule and still shaken by the horrors of World War I, the «shock of freedom» (Siegfried Kracauer) in German society was reflected in escapist comedies, glamourous spectacles and dark fantasies on the silver screen. This silent-film retrospective is based on reconstructed film programmes shown at Weimar’s local movie theatres. In cooperation with internationally acclaimed musicians and guests, the Lichthaus Kino, the Bauhaus-Universität Weimar and Weimar Stadtarchiv present these rare works.
Stephen Horne
Stephen Horne is one of the world’s leading silent-film accompanists.
He has been the in-house pianist at London’s BFI
Southbank for over 30 years, performs at prestigious international
festivals and has recorded music for numerous silent
film releases on DVD. Although mainly a pianist, he often
incorporates other instruments into his performances.
www.stephenhorne.co.uk
Regie + Drehbuch: Robert Reinert
Kamera: Helmar Lerski
Darsteller*innen: Eduard von Winterstein, Hanna Ralph, Werner Krauß
Live-Musik: Stephen Horne
Stummfilmfestival - Schock der Freiheit
Idee + Konzeption: Dr. Simon Frisch, Gerrit Heber, Katrin Richter, Bauhaus-Universität Weimar / Sven Opel +Dirk Heinje, Lichthaus GmbH / Dr. Jens Riederer, StadtarchivWeimar / Richard Siedhoff
Förderung: Thüringer Staatskanzlei, Sparkassenstiftung Weimar – Weimarer Land, Sparkassen Kulturstiftung Hessen-Thüringen, Stadt Weimar, Bauhaus-Universität Weimar, Freundeskreis der Bauhaus-Universität Weimar, Weimarer Republik e.V.
Eine Veranstaltungsreihe von Lichthaus Kino, Bauhaus-Universität, Stadtarchiv Weimar und Kunstfest Weimar
Karten: 10 € / ermäßigt 7 €
Dauer: 93 min
Barrierefreier Zugang (mit Anmeldung)