Mutig leben Konzeptionelle Gedanken zum Kunstfest-Programm 2025
Die Bühne als Wirklichkeitsmaschine? – Gedanken zumdiesjährigen Festivalprogramm
Der Gedanke der Relevanz eines Festivalmottos wie »Mutig leben« hätte vor wenigen Jahren wohl noch Stirnrunzeln hervorgerufen. Mittlerweile haben wir kollektiv lernen müssen, dass unsere demokratischen und politischen Gewissheiten keine mehr sind. Ohne das bewusste, mutige Handeln eines jeden und jeder Einzelnen von uns, würden wir leichtfertig unsere eigene Zukunft preisgeben. Deshalb zeigt auch das Kunstfest Weimar erneut Courage, Rückgrat, Haltung. Schon die beiden Eröffnungstage reflektieren auf überraschende und poetische Weise unsere Zeit: Die große israelische bildende Künstlerin Sigalit Landau präsentiert eine in, für, über Weimar und Aspekte der Weimarer Geschichte erarbeitete Video-Installation. Auf dem Theaterplatz eröffnet der libanesische Choreograf Omar Rajeh mit seinem vielköpfigen Projekt »Dance People« das Festival für das breite Publikum. Im Museum Zwangsarbeit stellen Jakob Ganslmeier und Ana Zibelnik ebenfalls eine Videoinstallation vor, ihre Reflexion zu neufaschistischem Körperkult auf TikTok. In der Redoute zeigt der südafrikanische Star-Regisseur Brett Bailey seinen »Faust II«-Kurzschluss unter dem nicht von ungefähr auf Elon Musks Raumfahrt-Unternehmen SpaceX anspielenden Titel »FaustX« – eine klug, absurd, auch bitter-komisch zur Erkennbarkeit verzerrte Spiegelung aktueller, politischer Realitäten – das Theater als Wirklichkeitsmaschine?
Das gilt umso mehr am zweiten Abend, wenn die unter schwierigsten Exilbedingungen zwischen Russland und Deutschland entstandene Arbeit »Das Land, das ich liebe« am historischen Ort, der von Zwangsarbeiter:innen im Nationalsozialismus errichteten, monumentalen KET-Halle zur Uraufführung kommt. Bewusst setzt das Gedächtnis-Buchenwald-Konzert mit der renommierten Capella Cracoviensis und Brahmswundervollem »Deutschen Requiem« da den passenden Kontrapunkt!
So reflektiert das Kunstfest Weimar die erschütternden Entwicklungen und Konflikte unserer Zeit! Natürlich ist die Wahl zweier Künstler:innen aus den benachbarten Ländern Israel und Libanon kein Zufall, genauso wenig,dass beide Künstler:innen explizit kein politisches Statement zur aktuellen Situation setzen. Es geht dem Programmmacher dabei um den – sagen wir ruhig »imaginären« – künstlerischen Dialog, der sich aus der gleichzeitigen Präsenz zwei solch eminenter Künstler:innen für das Publikum ergibt. Auf ähnliche Weise können Sie die »Kommunikation« zwischen Arbeiten wie »Bereitschaft« und »FaustX« ergründen: Hier die Reflexion aus der bewusst kleinteilig angelegten, neufaschistischen TikTok-Symbolik heraus – dort der distanzierte Blick des südafrikanischen Starkünstlers auf die zerrissene, scheinbar unaufhaltsam nach rechts driftende globale politische Landschaft des 21. Jahrhunderts – vor dem Hintergrund von Goethes Menschheits-Klassiker! Am zweiten Festivaltag dürfen Sie gespannt sein auf Irina Scherbakowas Gedächtnis-Buchenwald-Rede in der Herderkirche, die sie später am selben Abend auf eigene, poetische Art in der von Polina Solotowizki und Polina Borodina erarbeiteten Produktion widergespiegelt finden. Diese ist auf Grundlage eines Buches der exilierten Autorin Jelena Kostjutschenko und unter Mitwirkung von in Russland befindlichen Künstler:innen entstanden, die ungenannt bleiben müssen. Derart könnten Sie sich über Komplementarität oder Assoziation einen eigenen roten Faden durch das Festivalprogramm zusammenspinnen – glauben Sie mir, die »Verbindungskanäle«, die Echokammern, die sich daraufhin in der Reflexion der einzelnen Festivalbeiträge für Sie auftun,werden Sie überraschen und bereichern!
Ein eigenes Kapitel des Festivals widmet sich anlässlich des 250. Jahrestags der Ankunft Goethes in Weimar dem Komplex »Faust« – nicht nur Brett Bailey, auch der »andere« international gefeierte Regisseur (und ebenso renommierte bildende Künstler) des Kulturbetriebs am Kap gibt sich in Weimar ein Stelldichein: William Kentridge zeigt sein Revival »Faustus in Africa!« in Starbesetzung – die bahnbrechende Originalproduktion kam 1995 im Rahmen des Kunstfests zur Uraufführung! Überdies schreibt Theresia Walser im Auftrag von Kunstfest Weimar und Theater Fürth eine »faustische« Komödie über ein Lehrerehepaar, das sich die Gretchenfrage stellen muss, wie es für sich die Frage nach dem Umgang mit der (in Walsers Text) frisch gewählten rechtsextremen Landesregierung hält. Werner Fritsch kehrt mit seinem mittlerweile 15-stündigen, filmischen Lebenswerk »Faust Sonnengesang« nach Weimar zurück und Steve Karier wirft in einer Lecture einen augenzwinkernden Blick auf die »Faust«-Rezeption. Zudem freuen wir uns, erneut eine Nahaufnahme der formidablen Performing Arts-Szene Taiwans bieten zu können. Die nicht einmal besonders große Insel bietet einen solchen Reichtum an innovativen Bühnenkünstler:innen auf internationalem Niveau, dass man einen solchen Schwerpunkt noch ein paar Jahre fortsetzen könnte – ohne auch nur eine Company doppelt einzuladen. So wird es Sie nicht überraschen, dass Sie auch diesmal keine »alten Bekannten« wiederentdecken – aber da konnten Sie bei der ersten Präsentation unseres Taiwan-Schwerpunkts im vergangenen Jahr auch nicht – und dennoch waren alle Aufführungen bis zum letzten Platz ausverkauft. Da nehmen wir Sie auch in diesem Jahr beim Wort, denn auch wenn wir während der vergangenen drei Festivals schon jedes Jahr aufs Neue Ticketing- und Umsatzrekorde vermelden konnten, freuen wir uns, wenn das auch dieses Mal erneut gelingt! Dafür brauchen wir Sie! Seien Sie uns willkommen.
Herzlich
Ihr Rolf C. Hemke
Mai 2025