Das Festival Kunstfest Weimar 2024

Wofür wir kämpfen Konzeptionelle Gedanken zum Kunstfest-Programm 2024

»Wofür wir kämpfen« ist der Slogan des Kunstfest 2024, ist aber auch der Projekttitel der hochkarätig besetzten Diskursreihe von Volkhard Knigge. Diese hat es sich explizit zum Ziel gesetzt, zu reflektieren was es heißt, gegen die Gespenster der Vergangenheit anzukämpfen. Unmittelbar damit verknüpft ist eine kleine Wanderausstellung, die vom Kunstfest seinen Weg in die Republik finden wird: In »Das andere Russland« wird schlaglichtartig die Geschichte und das Engagement MEMORIALS für ein auf historischer Wahrheit – statt Propaganda, Hass und Lügen – aufbauendes demokratisches Russland vor- gestellt. Warum sich nach der Vernissage das Gedächtnis-Buchenwald-Konzert mit dem im deutschen Exil beheimateten Kyiv Symphony Orchestra unter der Leitung der mittlerweile weltweit gefeierten, jungen Dirigentin Oxana Lyniv anschließt, ergibt sich in Anbetracht der Lage in Osteuropa von selbst.

Doch das Kunst-FEST will eröffnet sein. Dazu bricht die – binnen weniger Jahre zu inter- nationalem Renommeé gelangte – inklusive Leipziger Tanzkompanie Forward Dance das populäre Hauptwerk des in seiner politischen Haltung zum NS-Regime umstrittenen Carl Orff choreografisch auf: Die »Carmina Burana« wird in der Vertanzung ihrer elektro-akustischen Übermalung und Fragmentierung ein überraschendes, ein irritierendes, aber auch ein festliches »Opening« des Festivals auf dem Theaterplatz bieten. Und man darf es auch als ein klares Statement verstehen, dass das größte Festival der zeitgenössischen Künste in Ostdeutschland genau von dieser aufregenden und innovativen jungen Tanzkompanie eröff- net wird. Und als ob das nicht der Eröffnung und des Symbolgehalts genug wäre, beginnt das Kunstfest noch an diesem Abend auch sein Schauspiel-Programm mit einem ganz besonderen „Theaterdebütanten“. Erstmals zeichnet der Schriftsteller und Intellektuelle Navid Kermani in einem Theaterprojekt mitverantwortlich neben den beiden Performern: Schauspiel-Legende Eva Mattes und Roberto Ciulli. Mit seinen jugendlichen 90 Lebensjahren zählt der Regisseur und Schauspieler wahrlich zu den eindrucksvollsten Theaterpersönlich- keiten des europäischen Theaterkosmos. Aus dieser außergewöhnlichen Konstellation heraus wird ein ganz besonderer Abend entstehen, der tastend versucht, die Splitter der Welt wieder zum Leuchten zu bringen.

Der diesjährige Slogan des Kunstfests würde nichts taugen, wäre er nicht ein Leitfaden durch das Festival: Nehmen Sie dafür als Bei- spiel das künstlerisch-diskursive Wochenende, das das Kunstfest mit dem Fonds Darstellende Künste und dem Goethe-Institut am 24. und 25. August ausrichtet. An diesem Sonntag nimmt auch Schorsch Kameruns musikalisch-partizipative Dialog-Performance »Bevor wir kippen« ihren Ausgang, die täglich (außer montags) bis zum Ende des Festivals „überflüssige Ausdrucksformen“ zur Diskussion oder Disposition stellt. Damit verbunden ist ein musikalischer Abend mit Thüringens Hollywood-Star Sandra Hüller und Comedian René Marik am Vorabend der Landtagswahl.

Auch die zentralen Projekte der bildenden Kunst und des Musiktheaters verorten sich in diesem Kontext: Die von Jenny Brockmann und weiteren Meisterschüler*innen der großen Rebecca Horn initiierte Neubespielung der Europäischen Kulturstadtjahr-Installation »Konzert für Buchenwald« unter dem Titel »Concertare Forte« einerseits. Andererseits Novoflots Musiktheater-Uraufführung »Ein Ermordeter aus Warschau« auf Texte von Starautor Max Czollek.

Herzstück und eigenständiges Kontinuum dieses Festivals ist der insgesamt sechsteilige Taiwan-Schwerpunkt. Dieser wird ermöglicht durch eine äußerst großzügige Sonderförderung vom Taiwanesischen Kulturministerium und der Vertretung Taipehs in Berlin und eini- ger anderer engagierter Förderer. Diese Pro- jekte führen eine Zusammenarbeit mit Taiwanesischen Künstler*innen zum Höhepunkt, die bereits seit 2019 fast ununterbrochen besteht. Damit wird es erstmals dem Weimarer Publikum möglich, einen Überblick über das choreografische und performative Schaffen einer Szene zu erhalten, die weltweit zu den Führenden zu rechnen ist. Ikone dieser Land- schaft ist natürlich das legendäre Cloud Gate Dance Theatre of Taiwan, das mit der deutschen Erstaufführung »Sounding Light« nach Weimar kommt, in der es nicht allein um das Verhältnis von Mensch und Natur geht, sondern um eine Rückbesinnung auf den Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Wie reichhaltig, technisch und künstlerisch avanciert, aber auch wie politisch die Szene ist, zeigen die sechs Arbeiten. Genauso aber haben wir in der Programmauswahl exemplarische taiwanesisch-deutsche Kollaborationen berücksichtigt. Lassen Sie sich also verführen und gehen Sie mit uns zusammen auf Entdeckungsreise in IHREM Kunstfest Weimar.

Rolf C. Hemke im April 2024